Rezensionen

„Vater telefoniert mit den Fliegen“

Herta Müller. Ein literarisches Potpurri.

Die rumänischdeutsche Erfolgsautorin und Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller veröffentlichte nach jahrelanger Vorbereitungszeit jüngst ihr neuestes Werk. Entstanden ist ein Tanz wilder Wörter. Ein Tanz mit den Fliegen.

Hunderte von kleinen Papierfetzen sammelten sich über Jahre in den Schubladen der Autorin. Müller_23857_MR1.inddAusgestattet mit Schere und Zeitungen sammelte sie die darauf stehenden Wörter und Wortgruppen wahllos zusammen, um sie dann später wie ein Puzzelteil zu einem anderen zu führen. „Ich habe manchmal dein Eindruck, es ist keine intellektuelle Arbeit. Es ist einfach eine Handarbeit. Es läuft eigentlich immer ein bisschen von selbst.“, beschreibt Müller ihre Arbeit bei der Weltpremiere ihres Buches in Berlin im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals.

Die Anfänge ihrer Arbeit liegen weit zurück und begannen mit der Unlust der Autorin, lieblose Postkarten zu verschicken, wenn sie auf Reisen war. So schnitt sie Sätze und Worte aus Zeitungen und Zeitschriften aus und bastelte diese zu einer ganz persönlichen Ansichtskarte zusammen. Schnell bemerkte sie, welch interessante Satzbildungen entstehen, wenn man Wörter aus nichtliterarischen Texten heraustrennt und ihre Bestimmung ändert. Herausgelöst aus ihren Kontexten werden sie zu etwas ganz anderem. Begeistert führte Müller dieses Verfahren daheim fort – zu erst in der Küche auf dem Hackbrett. Später dann auf einem eigens dafür bereitgestellten Wörtertisch. Hier konnte sie rundherum gehen und jedes Wort aus einem anderen Blickwinkel immer wieder neu kennenlernen.

„Anton steht wieder vor dem Haus mit seinem alten Löffel in der Hand und isst den Schnee vom Fensterrand. Gestern war beim Schneessen ein Stückchen Brot an seinen Hut gebunden und er hat dabei auch noch sehr hoch gesungen. Sein Atem flog wie ein rauchgetriebener Papagei.“

Das Werk hat Episodencharakter, setzt sich aus kurzen lyrischen Gebilden zusammen und wächst zu einem Ganzen. An manchen Stellen leicht, erheiternd, ja fast humorvoll. An manchen widerum schwerfällig und düster. Und trotz der Willkürlichkeit der Wörter vermag man den ganz eigenen Rhythmus und Stil der Autorin erkennen zu können. Ihn herausschmecken zu können aus dem Gewirr der vielen Gewürze. Mit „Vater telefoniert mit den Fliegen“ hat Herta Müller ein einzigartiges Buch gebastelt. Es erregt Aufmerksamkeit, macht Spaß und ist eine willkommene Abwechselung im täglichen Literaturbetrieb.

Herta Müller: „Vater telefoniert mit den Fliegen“. Carl Hanser Verlag, München 2012. 207 S., geb., 19,90 €.

Franziska Krakow

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